Trotz Allem: Hoffnung
Achte Veranstaltung: Gauting, 8. Mai 2018
Rudi ging in dem relativ keinen Raum, der wie ein Kaffee mit Tischen und Stühlen eingerichtet war, nervös hin und her. Es war 15 Minuten vor Beginn und kaum jemand war da. Rudi ist nicht zur Übertreibung geneigt und sagte: „Das wir ein Desaster.“
Ganz im Gegenteil. Die Lesung in Gauting in der Nähe von München fand auf dem Gelände eines ehemaligen DP Camps statt. Das waren die Lager der ehemaligen KZ Häftlinge, Heimatlosen und Vertriebenen. Ich freute mich darauf besonders, denn mein Vater, ein Einwanderungs-Rechtsanwalt, war ein maßgeblicher Beauftragter der US Regierung für die Wiederansiedlung der überlebenden Opfer des Nazi Regimes. Obwohl sein Hauptquartier in Camp Grohn in Bremen war, konnte ich mir gut vorstellen, dass er auch dieses Lager inspiziert hatte. Dieser und andere Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich durch das angeschlossene Museum in BOSCO ging. Im Moment hatten sie eine Ausstellung: „Trotz Allem: Hoffnung“
Das Leben in den DP Camps
Als meine Familie in Deutschland wohnte und mein Vater mit der Wiederansiedlung der Überlebenden der KZs beschäftigt war, hat meine Mutter viele Briefe nach Amerika geschicht. In ihnen beschreibt sie auch das Leben in diesen Auffanglagern. Es war unangenehm und qualvoll. Diejenigen in den Lagern, die nun den Verlust ihrer gesammten Familie ertragen mußten, deren Dörfer, Kultur und Berufe nur noch eine Erinnerung waren, hausten nun in engen Quartieren mit kaum einem Eigentum. Die Ausstellung in Gauting zeigt, wie sie versuchten, ein normal-ähnliches Leben zu führen: Sie veröffentlichten eine Zeitung und führten Theaterspiele auf. In der Ausstellung waren auch Bilder von der Befreiung der KZs und amerikanischen Soldaten, die zwischen den Befreiten umhergingen.
Vor kurzem hat uns ein Bekannter, der jüdische Gelehrte Oliver Pollak ein Buch über die DPs geliehen. Es beschreibt die unvorstellbahren Zahlen der Vertriebenen, Obdachlosen und befreiten Überlebenden, mit denen die Allierten fertig werden mussten. Anfänglich gab es unwürdige Fehlhandlungen. Mein Vater hat nie darüber gesprochen und ich habe ihn auch nie gefragt. Wäre ich zuhause mit Olivers Buch in der Hand, dann würde ich ein paar Fakten einschließen. Vielleicht einmal später.
Und schließlich kam das Publikum. Alle kamen auf einmal. Sie hatten offensichtlich im unteren Stockwerk in der Aussellung gewartet. Der Raum war voll. Als die Musik/Lesung vorüber war, wollte niemand gehen. Sie hatten unsere Story gern gehört. Jemand wollte uns sagen, wie wunderbar es sei, dass ich so schnell und perfekt Deutsch gelernt hatte (Rudi hat ihnen erzählt, dass ich im September angefangen hatte Deutsch zu lernen). Ich konnte das aber nicht verstehen, denn ich halte mich genau an unseren Text. Den kenne ich und kann ich. Mich zu unterhalten, das kann ich nicht. Also haben wir Deutsch und Englisch geredet und auch ab und zu übersetzt. Was immer die Sprache war, sie wollten ihre Geschichten erzählen.
Beeindruckende Kombination von Musik und Lesung
Ganz nebenbei: Hier war eigentlich das erstemal, dass die Mischung von Lesung und Musik von Rebeccah Rust und Friedrich Edelmann von jemandem betont wurde. Es war ja eigentlich unsere erste Musik/Lesungsveranstaltung in Amerika, die dazu geführt hatte, dass Rudi unseren Roman in Deutsche übersetzt hat.
Wenn ich anfange zu reden dann sage ich immer: „Falls unser Buch einmal zu einem Film gemacht würde, dann könnte ich mir vorstellen, dass Friedrichs und Rebeccahs Musik die Filmmusik dazu sein könnte.“ Nach den Sätzen über die Kosequenzen von Gerhards Wiederstand kommt ein Chello-Solo, das „Ein Gebet“ heißt. Es ist beeindruckend und klagend.
Rudis Geschichte führt zu Weiteren
Aber zurück zu den Geschichten, die wir in Gauting gehört haben. Eine Frau kam auf uns zu und sagte, dass alle in ihrer Familie wußten, dass ihre Tane Nazi war. Sie hatte immer geglaubt, dass ihre Tante eben einmal in die Partei eingetreten war. Später fand sie dann heraus, dass ihre Tante eine SS-Frau von sehr hohem Rang war. Sie war möglicherweise die Kommandantin eines Frauen-KZ. Nachdem sie das erfahren hatte, hat sie nie wieder mit ihrer Tante gesprochen.
Das ist eigentlich das gleiche, wenn Rudi sagt: „Mein Vater war ein sehr hochgestellter Nazi.“ Wenn er dann gefragt wird, ob sein Vater sich jemals von Hitler und der Nazikultur abgewendet hat und er das verneint, finden viele Deutsche den Mut über ihre eigenen Familien zu reden.
Rudi Raab und Julie Freestone waren auf Buchtour mit ihrem Roman Der Stolpersteintyle=”border: 1px solid #333;”