Eine Wanderung in die Vergangenheit
Als wir unseren Mietwagen parkten, stellten wir fest, dass wir unter dem Schild einer Anwaltskanzelei Namens „Gerhard“ standen. Wir waren gerade dabei zu unserer zweiten Lesung im Leipziger Arowitsch-Haus zu gehen. War der Name an der Kanzelei ein Omen? Wir waren hier in Leipzig, um aus unserem Roman, der ein literarischer Stolperstein für Rudis Onkel Gerhard ist, zu lesen.
Wenn das Schild ein Omen war, dann war es sicher kein Gutes. Der Beamer für unsere Power Point Presentierung war uralt und lies sich nicht an unseren Laptop anschließen. Wir haben das Problem gelöst indem wir uns einen ebenso alten Laptop des Hauses liehen. Alle waren froh, bis Rudi ein volles Wasserglas umwarf (eines der sechs Gläser Wasser, die er pro Jahr trinkt). Papiertücher und schließlich ein Mopp waren nötig, um all das Wasser zu beseitigen. Ein Blick auf die Uhr sagte uns, dass es Zeit war, anzufangen. Nun hatten wir ein gößeres Problem: Nur zwei Frauen, die mit der Straßenbahn angekommen waren und zwei Mitarbeiterinnen des Hauses. Das war das gesamte Publikum. Die zwei Männer, die bei dem Computerproblem und der Überflutung geholfen hatten, wollten nicht zuhören.
Vor ungefähr einem Jahr hatten wir etwas ähnliches in Helena, Montana mit der englischen Version unseres Romans erlebt. Eine Bekannte hatte eine Lesung in der Bibliotek der Stadt arrangiert. Der Raum hatte Stühle für etwa 100 Leute. Die Bibliotekarin war das ganze Publikum. Später stellte sich heraus, dass sie weder den Poster ausgehängt hat, noch die Pressemitteilung an die Zeitung weitergeleitet hat. Auf diese Art war sie, Julie und ich die einzigen, die von der Lesung wußten. Später, als wir Friedrich Edelmann und Rebeccah Rust kennengelernt hatten, haben sie uns ihre Philosophie beigebracht: Wenn mindestens soviele Menschen im Publikum sind als auf der Bühne, dann war die Veranstaltung ein Erfolg. Unsere Bekannte Ruth Rosen erzählte uns, als bei einer ihrer Buchlesungen das Publikum dramatisch klein war, hat sie die Lesung einfach zu einem keinen Seminar umfunktioniert.
Wiedererstehung aus der Asche
Aus verschiedenen Gründen war unser Besuch in Lepzig für uns überraschend erfreulich. Die beiden Damen des Kultur- und Gemeindezentrums waren Einwanderer aus der ehemaligen Soviet Union. Sie sind schon seit 20 Jahren in Deutschland und sprechen fließend Deutsch. Sie und die anderen zwei Frauen hörten gespannt zu und fanden schnell vieles Gemeinsames— Julies Mutter stammte sehr wahrscheinlich aus der Ukraine, genau wie eine der Frauen. Die anschließende Frage und Antwort Periode wurde zu einem dynamischen Dialog, voll von Geschichte, die sie gemeinsam hatten.
Es war ihnen sehr wichtig, dass wir bedenken sollten, dass die Jüdische Gemeinde in Leipzig einmal 14.000 Menschen zählte. Nachem die Nazizeit vorüber war, gab es noch 30 Juden. Im Moment zählt die Gemeinde 1.300 mit Hilfe des Zuflusses aus der ehemaligen Soviet Union und andern ehemaligen kommunistischen Ländern. Fast ein Drittel der Überlebenden waren chinesisch-deutsche Juden, Verwandte eines Chinesen, der nach Leipzig einwanderte und dort eine Jüdin geheiratet hat. Für die vier Frauen war die Geschichte Gerhards eigentlich nicht bemerkenswert, den sie alle hatten Opfer der Nazis in ihren Familien. Was sie bemerkenswert fanden war unsere Liebesgeschichte.
Warum der Besuch in Leipzig neben der Diskussion in Arowitsch-Haus doch noch ein Erfolg für uns war, trotz der langen An- und Rückreise nach Bayern, wo wir noch zwei Wochen von Lesungen haben kann Rudi nun selbst erzählen.
In unserem Wohzimmer in Richmond hängt ein alter handkolorierter Druck aus London von 1815. Er ist von einer Skizze, die am Ort gezeichnet wurde, angefertigt worden . Es ist der Große Einzug der Souveräne anläßlich des Sieges über Napoleons Heere um 1813. Es ist ein Original eines Zeitungsartikels . Das Bild zeigt den Rathausplatz in Leipzig . An den Fahnen und Bannern der Könige und des Zaren kann man erkenner wer wer ist. Der Platz ist umstellt von hunderten Soldaten, jeder einzelne mit handgemalter Uniform. Die Soldaten halten tausende Zuschauer zurück.
Am Abend machte ich den 2 Minuten Fußweg vom Hotel zum Rathausplatz. Ein Drittel ist den Bomben des 2. Weltkrieges zum Opfer gefallen. Die restlichen Gebäude sehen genauso aus wie auf dem Bild in unserem Wohnzimmer, selbst mit dem gleichen Anstrich. Ich setzte mich auf eine Bank und versuchte unser Bild auf die Gegenwart zu projezieren. Ich ging in eine kleine Seitengasse, von der her die Sieger auf den Rathausplatz zogen. Auf beiden Gassenseiten sah ich prächtige und gut erhaltene Rennaissance Bauten. Der Straßenbelag war das ursprüngliche Kopsteinpflaster. Gechichte: erlebe ich sie oder bin ich ein Teil davon?
Ich finde Bach
Auf einem kurzem Spaziergang von Hotel auf der Suche nach einem öffentlichen Parkplatz entdeckte ich eine mittelgroße Kirche.
Die Türen waren offen. Auf der Innenseite war ein kleines Schild: St. Nicholas. Als ich eintrat sah ich, dass ich in einer gotischen Kirch stand, die nun barock ausgestattet ist. Über und hinter mir war die Empore mit einer herrlichen Orgel. Ein Chor sang einen barocken Choral. Erst jetzt wurde mir bewußt, Dass ich in einer der zwei Hauptkirchen stand. Johann Sebastian Bach arbeitet hier als Kapellmeister der Stadt Leipzig. Er mußte für jeden Sonntag eine Kantate komponieren und dann auch aufführen. Sein Weihnachtsoratorium hatte hier seine Erstaufführung und wurde an sechs Sonntagen unter seiner Leitung hier der Welt vorgestellt. Auf der Suche nach einem Parkplatz fand ich den Gralskelch deutscher Musik.
Das Haus meines Großvaters
Zurück zu unserem Buch. Eine sehr wichtige Szene findet auf dem Dachboden des Hauses meines Großvaters in Leipzig statt. Dort hatten Karl und Sarah das dunkle Geheimnis von Gerhard entdeckt. Julie und ich sind dorthingefahren, nur vielleicht 15 Minuten vom Hotel entfernt. Wir standen vor dem Haus und sahen zu den Erkerfenstern hinauf. Als wir fortfuhren folgten wir der gleichen Strecke, die Karl und Sarah nahmen um zur Straßenbahn zu gelangen. Erst dann merkte ich, dass mein Großvater mit mir hier entlanggegangen war als ich 11 Jahre alt war. Die Straßenbahnhaltestelle ist immer noch da.
Julie und Rudi berichteten von ihrer Buchtour in Deutschland für ihr Buch der Stolperstein. Unser Buch ist bei Amazon.de und im herkömmlichen Buchhandel auf Bestellung erhältlich.