Eine katholische Privatschule führt
Die dritte Station: Speyer
Von Julie Freestone
Sie standen Schlange auf der Treppe zur Bühne und entlang der Fenster. Die Mädchen sahen uns an und flüsterten miteinander, als wir an einem Tisch auf der Bühne Bücher verkauften und signierten.
Das war das überraschende Ende unserer Lesung am Edith Stein Gymnasium in Speyer. Nachdem Rudi bekannt gab, dass wir einige Bücher zu verkaufen hatten, bewegte sich zunächst niemand. Ich dachte, dass Rudi vielleicht doch recht gehabt hatte, nur ein paar Bücher in die Schule zu bringen, schließlich waren es doch Teenager, die, wenn sie überhaupt lesen, wohl elektronische Medien vorziehen. Dann aber drängelten sie sich nach vorn. Ich brauchte ihm nicht zu sagen, dass ich also doch recht hatte, denn Rudi sprintete zurück zum Auto und brachte den Rest der Bücherkiste.
Als wir früher am Morgen zur Schule gefahren waren, kurz vor der Veranstaltung, wußten wir eigentlich noch nichts über die Schule. Als wir die Schule dann googelten, erfuhren wir, dass es eine katholische Mädchenschule war. Auf umständliche Weise war die Einladung dorthin durch eine Bekannte bewerkstelligt worden. Sie hatte hier ihr Abitur gemacht.
Edith Stein wurde ein Opfer der Nazis
Als der Schuldirektor Andreas Kotulla und die Lehrerin Annette Meuser uns auf eine Tour durch die Schule führten wurde uns klar, warum alle 190 Schülerinnen so enthusiatisch auf unsere Lesung mit intelligenten Fragen reagiert haben.
Zu einem Mal ist die Schule nach Edith Stein benannt worden. Sie wurde in eine orthodoxe jüdische Framilie geboren. Sie wuchs auf und wurde eine Frauenrechtlerin, wurde dann eine katholische Nonne. Schließlich verschleppten die Nazis sie und ermordeten sie in Auschwitz. Die Schule selbst ist Mitglied in der Stolperstein Koalition von Speyer. Das ist eine Gruppe von Organisationen, die sich bemüht, in Speyer Stolpersteine zu installieren. Die Schülerinnen sammeln Geld, um einen Stolperstein zur Erinnerung an Ursula Michel, ein jüdisches Mädchen, zu stiften. Ursula wurde duch den Kindertransport über England gerettet. Als die Schülerinnen nach unserer Lesung die Aula verließen staden zwei Freiwillige an der Tür und sammelten Spenden in kleinen Kästchen. Im ersten Stock der Schule wurde uns eine kleine Austellung gezeigt. Ein bewegender Teil davon war ein kleiner Handkoffer und ein kleines Buch.—Alles war gepackt und fertig zur Deportation.
Intelligente Fragen und Kommentare
Obwohl die Schülerinnen der Oberstufe in totaler Stille gespannt zuhörten als wir unsere Geschichte berichteten und vom Buch lasen, sagte zunächst niemand ein Wort, als wir sie schließlich um Fragen und Kommentare baten. Dann fragte ein tapferes Mädchen, was unsere Eltern von unserem Verhältnis hielten. Das führte dann zu vielen intelligenten Fragen und Kommentaren.
Eine Schülerin fragte Rudi ob er darunter gelitten hatte, einen Vater zu haben, der Nazi war. Rudi sagte, eigentlich nicht, denn er kannte keinen anderen Vater. Er benutzte dann die Gelegenheit über unsere Freundin und Kollegin Elizabeth Rosner zu sprechen. In ihrem Buch Survivor Cafe hat sie das Konzept des Traumas, das sich über mehrere Generationen vererbt, beschrieben. Viele Urenkel von Holocaust-Überlebenden leiden heute noch darunter.
Ich hatte mir gewünscht, in meine Journalistinnen-Rolle zu schlüpfen, um die Schülerinnen zu fragen, welcher Teil unseres Buches bei ihnen den stärksten Anklang fand. Leider war ich zu beschäftigt Bücher zu verkaufen und Wechselgeld zu zahlen.
Rudi und Julie sind durch Deutschland mit ihrem Roman Der Stolperstein gereist. Er ist eine Überstzung der amerikanischen Version von Stumbling Stone. Das Buch ist ein literarischer Stolperstein als Erinnerung an Rudis Onkel, der von der Gestapo ermordet wurde.