Eine exotische Malzeit, eine einfache Geschichte
Ein Stopp, der nicht auf dem Plan stand
Münchenim Mai 2018-07-27
Vor fast zwei Jahren hatte Rudi am 50. Jubiläum seiner Abiturklasse in Essen teilgenommen. Dort hat er kurz unseren Roman Stumbling Stone erwähnt. Als er danach das Buch ins Deutsche übersetzte und wir anfingen eine deutsche Buchtour zu planen, hat er an seine ehemaligen Klassenkameraden geschrieben, um Anregungen und Tipps für mögliche Lesungen zu bekommen. Die Antwort war eine gähnende Stille.
Als wir dann schließlich die Tour zusammengebastelt hatten, haben uns zwei ehemalige Mitschüler angeschrieben und sagten, dass sie je an einem Termin teilnehmen würden. Einer aus München und der andere aus Bremen. Als Stephan Stein dann tatsächlich in München dabei war, war Rudi überrascht und erfreut. Hinterher sind wir dann and den Prachtbauten von Albert Speer vorbei zu einem Biergarten geschlendert. Wir haben uns nett unterhalten und in Stichworten die letzten 50 Jahre besprochen. Stephan kam dann zu einer weiteren Veranstaltung und lud uns dann zu sich „zu einer schlichten Mahlzeit“ ein.
Was hat dein Vater im Krieg getan?
Als wir am ersten abend im Biergarten saßen, erwähnte Stephan, eine Passage aus unserem Buch. Dort fragte Sarah Karl nicht, ob er gern romantische Spaziergänge bei Sonnenuntergang am Pazifikstrand macht, oder ob er gern Gourmet-Küche ißt, oder gar was sein Sternzeichen ist. Sie fragt ganz einfach: „Was hat dein Vater während des 2. Weltkrieges gemacht?“. Julie hatte das Gefühl das Stephan sie nun gleich fragen würde: „Und warum fragst du mich denn nicht, was mein Vater in dieser Zeit gemacht hatte?“ Aus dem Buch weiß er, dass Julie jedem Deutschen diese Frage früher gestellt hatte. „Ok,“ sagte sie: „Wenn du es mir erzählen willst, dann höre ich gern zu.“ An diesem Abend hat er aber nicht Weiteres dazu gesagt.
Ein paar Tage später fuhren wir in einen netten ruhigen Vorort von München. Für uns Amerikaner ist es ungewöhnlich, in einer Mietwohnung zu leben. Aus historischen Gründen war bei uns der Boden immer billig (Wir haben ihn eben den Indianern geklaut) und anfänglich bauten die Männer das Familienhaus selbst. Deshalb haben wir nun auch so irre großflächige Städte, wie Chicago, Los Angeles und Phoenix. Zurück also zu Stephans Wohnung in der er mit seiner aus Chile stammender Frau wohnt und zwei Söhne großgezogen hat. Was er als „schlichtes Abendessen“ angkündigt hatte war alles andere als das. Der erste Kurs war ein Caprese Salad. Danach kam ein Gericht direkt aus Chile in wundervollen schlichten irdenen Schalen. Uns wurde das Rezept versprochen. Leider können wir uns nicht an den Namen erinnern. Es bestand ais Mais, Fleisch, Oliven, Zwiebeln und anderen geheimen Zutaten und wurde in den Schalen im Ofen gebacken. Zum Nachtisch bekamen wir kalten Quark mit Beeren und Schokoladensplittern. Irgendwann während der herrlichen Mahlzeit sagte Julie dann, Also: „Du fragtest mich im Biergaten, wann ich dich fragen würde, was dein Vater im Krieg getan hat. Ich würde die Geschichte gern wissen, wenn du sie erzählen willst.“
Hier ist, was er gesagt hat
Sein Vater war in einer Industrie tätig, die Stahl bearbeitete und wichtig für die Wehrmacht war. Aus diesem Grunde war er vom Wehrdienst freigestellt. Als er dann 1941 aus irgend einem Grunde zu einer anderen Firma im gleichen Gewerbe überwechseln wollte, hatte ihn offenbar jemand verraten und in der sehr kurzen Zeit von einer Stelle zur Anderen, wurde er plötzlich eingezogen und kam sofort an die Ostfront. Dann brauchte die Wehrmacht aber englisch sprechende Soldaten, die sich freiwillig an eine Abhörstation, meistens in Norditalien, melden konnten. Man versuchte feindliche militärische Meldungen abzuhören. Stephan sagte, dass sein Vater immer dieses Beispiel angab, um zu betonen, wie wichtig es ist, Fremdsprachen zu lernen. Und Stephan spricht fließendes Englisch.
Stephans Vater und sein Team wohnten in Italien in einem Hotel von wo sie bei erstem Tageslicht auf einen Berg stiegen um zu ihrer Abhörstelle zu gelangen. Am Abend dann wanderten sie wieder berab zu ihrem Hotel. Als sie dann eines Tages hörten, dass der Krieg zuende sei, war niemend da, um sie gefangen zu nehmen. Stephans Vater wanderte zurück nach Deutschland und fand dort Aliierte die sich bereiterklährten ihn gefangen zu nehmen. Als er dann wieder entlassen wurde, hatte er Papiere, mit denen er sein neues Leben beginnen konnte.
Der Drang, Geheimnisse zu verraten
Die amerikanische Schriftstellerin Susan Griffin hat in ihrem Buch „Chorus of Stones“, das Julie zufällig auf dieser Reise liest, geschrieben, dass der Drang, Geheimnisse zu verraten, eine grundlegende menschliche Eigenschaft ist. Sie schreibt auch, „was eine Generation vergräbt, muß von der nächsten wieder enthüllt werden. Die Kinder der Nazis und der Überlebenden haben den Kampf zwischen Verschweigen und Entblößen gleichsam geerbt.“
Und einige Menschen, wie Stephan vielleicht, haben bei der Entblößung gezeigt, dass nicht alle Deutschen Mittäter waren, sondern zufällige Zeugen.
Julie und Rudi waren auf einer Buchtour durch Deutschland mit ihrem Roman Der Stolperstein. Das Treffen mit Stephan und seiner Frau fand während dieser Tour statt.