Deutsche Worte, die ich gelernt habe
Von Julie Freestone
In unserem Roman Der Stolperstein ist eine Szene, in der Karls Mutter sich an die Bombardierung von Dresden erinnert. Sie beschrieb ihre Flucht mit zwei Kleinkindern, während sie noch im 8. Monat der Schwangerschaft mit ihrem dritten Kind war. Sie versuchte, vor den russischen Soldaten zu fliehen. Sie sagte: „Ja, es war nicht leicht für uns Frauen.“
Da unser Roman auf unserer tasächlichen Geschichte beruht, ist das genau, was mir Rudis Mutter gesagt hat, als wir uns trafen. Damals war ich noch in meiner Phase, wo ich jeden, den ich traf, für einen ehemaligen Nazi hielt. Rudis Mutter war aber tatsächlich Nationalsozialistin gewesen.
Die deutsche Zivilbevölkerung
Ich muß aber zugeben, dass ich mir Gedanken gemacht hatte, wie es der deutschen Zivilbevölkerung ergang, besonders in den letzten Kriegsmonaten, als das Ziel der Aliierten war, die deutsche Regierung durch gnadenlose Bombardierung in die Knie zu zwingen. Rudi und ich haben die Geschichte von „Ingrid“ aus unserem Roman in Amerika bei englischen Lesungen vorgelesen. Wir wollten unseren amerikanischen Zuhörern eine neue Perspektive geben. In den deutschen Lesungen haben wir diese Szene nicht erwähnt.
Mir war schon oft aufgegangen, daß es zwei ganz entgegengesetzte Perspektiven gibt. Als ich Rudi gerade kennengelernt hatte, zeigte ich ihm ein Fotoalbum, das mein Vater für mich zusammengestellt hatte. Wir tauschten Geschichten aus und Rudi entdeckte meinen Personalausweis. „Aliierte Hohe Kommission. Besatzungsmacht“ das las er vor und fügte dann hinzu: „Wir waren die Besetzten.“
Hier in Richmond, in Kalifornien, haben wir ein Museum, das den Frauen des 2. Weltkrieges gewidmet ist. Sie haben als Nieterinnen und Schweißerinnen gearbeitet. In Rekordzeit haben sie eine kaum glaubliche Zahl von Schiffen hergestellt. Jedesmal, wenn Rudi mit Gästen das Museum besucht, findet er wenig zu feiern. Diese Schiffe diehnten dazu, Kriegsmaterial zu transportieren, mit denen die Deutschen getötet wurden.
Keine Juden
Während unserer Deutschlandreisen in den 80er und 90er Jahren sah ich an manchen Gebäuden Gedenktafeln, die daran erinnerten, dass Straßenzüge und manchmal ganze Ortsviertel von Juden besiedelt waren. Heutzutage sieht man die Stolpersteine, die die Gräueltaten mit dem Nennen von Namen persönlich machen. Die Deutschen werden besser mit der Erinnerung. Trotzdem aber gibt es keine Juden mehr. Nur im Ausnahmefall hatten wir bei unseren Lesungen einmal Juden im Publikum.
Auf unseren früheren Reisen lernte ich, wie man auf deutsch zählt, wie man nach der Toilette fragt und wie man Mahlzeiten bestellt. Jetzt habe ich auch gelernt, was ermordet, deportiert und Tod bedeutet.
Noch mehr neue Worte
Unsere letzte Veranstaltung in Deutschland fand in Bad Lippspringe statt. Danach mußten wir schnell wieder nach Amerika, damit mein linkes Auge operiert werden konnte. Wir übernachteten in der Nähe in Paderborn. Bei der Besichtigung der Stadt entdeckten wir Karl des Grossen Kaiserpfalz, die von ihm 795 gegründet wurde.
Wir hatten noch ein paar Stunden Zeit und besichtigten die Pfalz und die daneben stehende Kirche.Dabei lernte ich noch einige neue Worte.
Wie andere deutsche Städte wurde Paderborn in den letzten Kriegswochen bombardiert. Zu Trümmerhaufen gemacht, das wäre der richtige Ausdruck. Paderborn wurde von den Aliierten 1944 und im März 1945, einige Wochen von Kriegsende zerbombt. 85% der Stadt wurde zerstört; und das schließt den historischen Stadtkern ein.
Als zusätzlich zu den Worten auf den Stolpersteinen lernte ich nun bombardiert, zerstört und rekonstruiert
Als Fagottist Friedrich Edelmann zuerst vorschlug, dass wir zusammen mit Chellistin Rebecca Rust hier in Kalifornien ein(e) gemeinsame(s) Lesung/Konzert in Corte Madera veranstalten sollten, haben wir eigentlich nur halbherzig zugestimmt. Wir hatten bis dahin schon zwei Jahre mit unserem Roman Stumbling Stone verbracht und wir waren fertig für etwas Neues. Wir haben eigentlich hauptsächlich zugestimmt, weil wir die Musiker unterstützen wollten. Bei der Veranstaltung spielten sie Stücke jüdischer Komponisten, die von den Nazis verfolgt worden waren. Nachdem die Veranstaltung ein großer Erfolg wurde, schlugen sie vor, daß wir das Gleiche in Deutschland machen sollten. Rudi hat das rundweg abgelehnt, der er sagte wir haben ein Buch auf englisch und Julie spricht kein Deutsch. Nachdem er nachgegeben hatte, hat er das Buch dann ins Deutsche übersetzt und Julie hat angefangen Deutsch zu lernen. Wir haben dann den Plan der deutschen Buchtour zusammengestellt und waren unterwegs nach Frankfurt. Wir hatten 11 Veranstaltungen bis meine abelöste Netzhaut wieder nach hause brachte. Was für ein Erlebnis! Wir danken Friedrich und Rebecca für die Anregung,und wir bedanken uns bei allen, die uns dabei unterstützt haben. Hiermit finden die Blogs ein Ende.