Ein deutscher Muslim reagiert auf Der Stolperstein
Wo war Gott während des Holocausts?
Von Rudi Raab und Julie Freestone
Als wir aus Deutschland von unserer Buchtour zurückkehrten, waren wir ziemlich sicher, das dies Kapitel unseres Lebens nun zuende ist. Wir mußten unsere Reise abbrechen, denn Julies Netzhaut hatte sich abgelöst und sie mußte sofort operiert werden. Wir hatten aber immerhin doch 12 Vorträge mit musikalischer Begleitung veranstaltet und dann noch täglich dazu einen Blog geschrieben. Wir hatten gute Rezeption in den Zeitungen. Wir hatten das Gefühl, dass wir nun aufhören sollten. Und das war mit zwei weiteren Jahren hier in Amerika mit der englischen Version des Buches.
Wir hatten uns auch überlegt, ob wir die Webseiten herunterfahren sollten und zwar Der-Stolperstein.de und auch Stumbling-Stone.com für die englische Version. Dann passierte aber etwas, was unseren Beschluß änderte.
Wir bekamen e-mail von einem Muslim.
Durch die Kontaktseite der deutschspachigen Webseite erhielten wir einen Brief von einem jungen Mann, der bei unserer Lesung in der neuen Synagoge in Ulm gewesen war. Wir konnten uns an ihn und seine zwei Freunde gut erinnern. Es waren drei junge Männer in ihren 20iger Jahren. Man konnte sehen, dass sie gespannt zuhörten. Hinterher haben sie sich mit uns unterhalten und haben Bücher gekauft, die wir für sie unterschrieben haben.
Anstatt zu beschreiben was er geschrieben hat, möchten wir hier (natürlich mit seiner Erlaubnis) sein Schreiben unverändert wiedergeben.
„Ihre Buchbesprechung, Frage, Kommentar oder Vorschlag. Ich weiß um ehrlich zu sein nicht wie ich anfangen soll darum möchte ich mich Ihnen erst einmal vorstellen:
Mein Name ist Ergin Kahya. Ich lebe in Ulm und durfte Sie beide in der Ulmer Synagoge kennenlernen und möchte die Gelegenheit nutzen Ihnen beiden für Ihr Werk zu danken. Ich muss gestehen, dass mir die Tränen laufen während ich das hier schreibe. Ich habe eben Ihr Buch zu ende gelesen und bin sehr mitgenommen, vor allem von Gerhard’s Geschichte. Als ich die Tagebücher u.a. von “Rutka Laskier” gelesen habe verstand ich nicht wieso, so etwas wie der Holocaust geschehen konnte.
Aber jetzt mit Gerhard’s Geschichte (ich selbst bin ein junger gläubiger Muslim) frage mich wieder und wieder wo Gott in dieser Geschichte bleibt? Ich begreife einfach nicht wieso einem Menschen so etwas grausames widerfahren muss? Ich kann keinen Sinn dahinter erkennen. Das alles ist einfach so unfair. Mir ist durchaus bewusst das so viele Menschen so viel Qual und Tod erleiden mussten und leider es auch heute noch müssen, wenn sie aber Namen bekommen dann schmerzt es doch umso mehr und dann sitze ich hier und zweifle an einem “höheren Sinn”. Ich zweifel doch etwas an Gott. Ein junger Bursche dem so übel angetan wurde nur weil er nicht schwieg! Weil er eine andere, meiner Meinung nach eine Richtige Einstellung hatte wurde das Recht auf LEBEN genommen. Ich bewundere Ihren Onkel Gerhard so sehr für sein “Nun gerade nicht!”. Ich möchte nur, dass Sie wissen, dass es in Deutschland einen jungen Menschen wie mich gibt, der von seiner Geschichte und besonders von seinem Charakter fasziniert ist. Was Gerhard gedacht, gesagt und getan hat, INSPIRIERT und motiviert mich! Ich werde versuchen so gut ich kann seiner Einstellung zu folgen und seinem sinnlosem Sterben meinerseits einen Sinn zugeben. In meinem Alltag, in meinem Leben und im Leben anderer.
Vielen lieben Dank, dass Sie ihm eine Stimme gegeben haben. Ich wünsche Ihnen alles alles gute und danke Ihnen wirklich aus meinem tiefsten Herzen. #Gruß #Shalom #Selam“
Unsere Reaktion
Seine bewegende Kommentare waren erstaunlich und wir haben geantwortet. Wir haben Ergin gesagt, dass seine Reaktion für alles wert gemacht hat. Er hat uns für die ganze Arbeit, einschließlich der Übersetzung, bezahlt.Wir haben im auch geschrieben, dass Rudi einmal im Gymnasium Lessings Nathan der Weise lesen mußte. Als Nathan auf seinem Sterbebett lag, versammelte er seine drei Söhne um sich und zeigte ihnen seinen schweren Goldring. Sie wollten wissen, wer von ihnen das Erbe antreten darf. Natan erwiederte, das derjenige von ihnen, der sich am würdigsten erweist, seinen ganzen Reichtum erben sollte. Mit den drei Söhnen meinte Lessing die drei Religionen vom Judentum, Christenheit und Islam. Dieses Schauspiel wurde Rudis Inspiration. Wir schlugen Ergin auch vor, Elie Wiesels Buch Nacht zu lesen, das sich auch mit der Frage beschäftigt, wo denn Gott war.
Als wir ihn um Erlaubnis baten, seinen Namen und seinen Brief zu benutzen, antwortete Ergin: „Durch eure Arbeit und durch Gerhard und seinem Wesen ist mein Leben reichhaltiger geworden. Ich werde mein Versprechen halten,und dake euch nochmals, daß ihr mich auf die wunderbare art inspiriert habt.“ Er hat uns nicht nur Erlaubnis gegeben, seinen Namen und Wohnort zu nennen, sonder fügte hinzu: „Wenn mich jemand auf der Straße anhält, um über euer Buch zu reden, dann würde ich das begrüßen“
Wir glauben nicht dass wir wie Webseiten herunterfahren sollen.
Rudi Raab und Julie Freestone haben Der Stolperstein geschrieben. Es ist ein Roman, der auf Tatsachen basiert ist. Rudi ist auch für die deutsche Übersetzung verantwortlich.